Versorgungslücken nach Vergewaltigung schließen

Bild
Sticker in pink mit Text „Vergewaltigung ist ein medizinischer Notfall. Im Krankenhaus erhalten Sie Hilfe. www.soforthilfe-nach-Vergewaltigung. de
24. Mai 2022

Eine umfassende Erstbehandlung nach Gewalt muss sichergestellt sein.

Eine umfassende Erstbehandlung insbesondere nach sexualisierter Gewalt muss sichergestellt sein. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) veröffentlicht Forderungen an die Politik und startet Social-Media Aktion mit Erfahrungen von Betroffenen.

Seit 2020 ist die Finanzierung der vertraulichen Spurensicherung nach sexualisierter und körperlicher Gewalt als Leistung der gesetzlichen Krankenkassen über das Masernschutzgesetz rechtlich verankert. Die vertrauliche Spurensicherung soll auch finanziert werden, wenn Betroffene keine polizeiliche Anzeige erstattet haben. Sie umfasst Dokumentation, Laboruntersuchungen und Aufbewahrung der Befunde. Eine Umsetzung des Gesetzes fehlt zwei Jahre später immer noch.

Ein weiteres Problem: Leider ist im Gesetz nur die Spurensicherung geregelt. Die medizinische Soforthilfe nach Vergewaltigung (MSnV), die in Rheinland Pfalz bereits an vier und bald an 6 Standorten (Mainz, Worms, Koblenz und Trier und ab 2022 Idar-Oberstein und Ludwigshafen) in Zusammenarbeit mit den Kliniken installiert ist, gewährleistet darüber hinaus eine trauma-sensible und umfassende medizinische Versorgung nach einer Vergewaltigung. Das ist genau das, was die Frauen* sich wünschen, wenn sie ein Krankenhaus nach einer erlittenen Vergewaltigung aufsuchen – und genau das wird jedoch nicht finanziert über das Gesetz.

Die Istanbul-Konvention ist geltendes Recht und verpflichtet Deutschland dazu, eine kostenfreie und flächendeckende Akutversorgung nach sexualisierter oder körperlicher Gewalt sicherzustellen, sonst ist die Gesundung von Betroffenen massiv gefährdet.“ Der bff veröffentlicht ein aktuelles Forderungspapier „Versorgungslücken schließen – medizinische Behandlung nach Vergewaltigung sicherstellen“, welches von Beraterinnen aus der Praxis erarbeitet wurde und die medizinische Versorgung nach erlebter Gewalt in den Mittelpunkt stellt.

Begleitet wird die Veröffentlichung des Forderungspapiers durch eine Social-Media Aktion mit Fallgeschichten von Betroffenen. Sie zeigen die massiven Auswirkungen der oft unzulänglichen Strukturen z.B. für Frauen mit Behinderungen oder ohne Krankenversicherung.

Bild mit Text: Eine Frau mit Lernschwierigkeiten wird in der Wohneinrichtung der Behindertenhilfe von ihrem Mitbewohner vergewaltigt. Sie möchte gemeinsam mit ihrer Assistenz in die nächstgelegene Klinik fahren, um sich medizinisch versorgen und die Spuren sichern zu lassen. Die Klinik ist 50 km entfernt. Ein Auto ist nicht verfügbar, der Wohnort schlecht angebunden, sie reisen 2 Stunden mit dem ÖPNV an. Mitten in der Untersuchung möchte die Frau abbrechen, sie ist völlig erschöpft.

 

Bild mit Text Eine Frau, die an einem Freitagabend mit Verdacht auf K.O.-Tropfen vergewaltigt wurde, möchte sich medizinisch behandeln und Gewaltspuren sichern lassen. Ein Versorgungsangebot, das sie online gefunden hat, ist allerdings am Wochenende nicht erreichbar. Sie versucht es bei einer Klinik, wird da allerdings auf genau dieses Angebot verwiesen und in der Folge am Wochenende nicht behandelt. Nach dem Wochenende konnten weder K.O.-Tropfen nachgewiesen noch alle dagewesenen Spuren mehr gesichert werden.

Bild mit Text: Eine Frau wird in der Geflüchtetenunterkunft, in der sie lebt, vergewaltigt. Da sie keinen sicheren Aufenthaltstitel hat und kaum Zugang zum medizinischen System, lässt sie die Verletzungen nicht medizinisch behandeln. Auch dass es die Möglichkeit einer vertraulichen Spurensicherung gibt, war ihr nicht bekannt.

Die medizinische, rechtsmedizinische und psychosoziale Versorgung von Betroffenen müssen Hand in Hand gehen. Betroffene von Gewalt brauchen rund-um-die-Uhr gut erreichbare Versorgungsangebote mit einem traumasensiblen, diskriminierungs- und barrierefreien Ansatz. Bei der Medizinischen Soforthilfe nach Vergewaltigung, die es seit 2020 in Koblenz in Kooperation von Kemperhof und Frauennotruf Koblenz gibt, erhalten Betroffene eine medizinische und psychosoziale Versorgung. Wenn sie sich das wünschen, kann zusätzlich eine Spurensicherung stattfinden. Eine Anzeige ist dafür nicht notwendig. Die gesicherten Spuren werden ein Jahr lang in der Rechtsmedizin aufbewahrt und die Betroffenen können sich in Ruhe überlegen, ob und wann sie Anzeige erstatten wollen. Nicht die Anzeige, sondern das körperliche und seelische Wohlergehen der Betroffenen steht im Vordergrund.